Dazu muss man wissen, dass unsere Deutschlehrerin eine Lehrerin strengen Fleißes und eiserner Disziplin ist, und somit das Niveau unseres Grundkurses spielend an das des Leistungskurses (LKs) heranreicht. Ebendrum sind ihr diejenigen Schüler, die vom Ostendorf, unserer Kooperationsschule, und daher immer zu spät kommen, ein Dorn im Auge. Weiterhin wisse man, dass es in unserem Kurs zwei Andrea’s gibt, Andrea 1 und Andrea 2, und unsere tragische Hauptperson Fabian ihre Hausaufgaben nur mit Hilfe der neben ihr sitzenden Kathrin zu entziffern vermag. Mit diesem Vorwissen ausgerüstet mag sich nun der geneigte Leser die folgenden Zeilen zu Gemüte führen. Der Name unserer Lehrerin wurde hier durch “Müller” ersetzt.
Entgegen allen Konventionen
von Akten und Gereime,
die einem Drama innewohnen,
versuchen wir’s mal ganz alleine.
Bei Frau Müller Deutsch zu haben
ist durchaus des Reimes wert
hat sie doch durch strenges Fragen
uns das Leben sehr erschwert.
Fleiß und Ordnung plagt uns stündlich
doch für sie ist’s auch nicht leicht:
Ostendörfler haben pünktlich
uns’re Schule nie erreicht.
Verwirrung stiften außerdem
die zwei Andreas, die wir haben.
Das wird insofern zum Problem
als dass auf Fragen zwei was sagen.
Bevor ich jetzt Frau Müller spiele
unser Dank an sie ergeht.
Das nicht nur für der Mühen viele
nein, sondern weil sie Spaß versteht.
* “Faust, der Tragödie erster Teil”, Vers 1257
Müller: | “Sabine” — war ihr erstes Wort — |
Sie will sich meinem Blick verwehren. | |
Warum ist sie schon wieder fort? | |
Kann mir das jemand mal erklären? | |
Schüler: | Voll Demut heb ich meine Hand, |
den Zorn hier etwas abzukühlen. | |
Ans Ostendorf ward sie entsandt, | |
der Ankunft spät wird Reu’ sie fühlen. | |
Müller: | Nun gut, so sei es ihr verziehn. |
Doch Rücksicht üben kann ich nicht. | |
Auch wenn sie etwas spät erschien: | |
Wir müssen weiter im Gedicht! | |
Und Imke, die ist weit und breit | |
Ja leider nirgendwo zu sehn. | |
So voller Heiterkeit ihr seid? | |
Wie kann solch’ Situation entstehn? | |
Andrea 1, Andrea 2... | |
Schüler 1 vom Ostendorf latscht rein: (brüllt) | |
Morgen! | |
Müller: | In Reimen sprich, |
sonst straf ich dich! | |
Andrea 1, Andrea 2... | |
Schüler 2 vom Ostendorf latscht rein: (brüllt) | |
Tach! | |
Müller: | Hä? Was reimt sich denn jetzt auf “Andrea 2”? |
Ach ja: Und Kathrin, die ist auch dabei. | |
Und nun zu euch, ihr frechen Blagen... | |
Schüler 3 vom Ostendorf latscht rein: (brüllt) | |
Hallo zusammen! | |
Müller: | Was wollt ich denn jetzt eben sagen? |
(holperig:) | |
Jetzt seid doch mal endlich still, | |
weil ich mich eben erst mal konzentrieren — äh — will. | |
(räusper) | |
Und nun zu euch, ihr lieben Kinder! | |
Wer spät kam, warte vor der Tür! | |
Das gilt euch dreien da nicht minder. | |
Danach zusammen einmarschier! | |
Doch nun genug der Liste Namen. | |
Denn zwischendurch sei mal gesagt: | |
Von diesen, die hier zu mir kamen, | |
ein wenig Wissensdrang mich plagt. | |
Diejen’gen, die den Deutschkurs nahmen, | |
die hätt’ ich gern einmal gefragt: | |
Wer sind die Guten? Wer die Lahmen, | |
die nur aus Zwang sich her gewagt? | |
(Schüler etwas unsicher, einige kichern) | |
Sie solln nicht lachen, sollen denken! | |
In diesem Kurs gibt’s nix zu lachen! | |
Gestattet mir, den Kurs zu lenken, | |
so wolln wir or’ntlich was draus machen. |
Müller: | Die Hausaufgaben. Fabian! |
Fabian: | Oh Gott, bin ich schon wieder dran? |
Ein Übersetzer ist von Nöten | |
da mein Geschreibsel unerklärlich; | |
vor Scham sich mir die Wangen röten. | |
Ich kann’s nicht lesen, sei’n wir ehrlich. | |
Müller: | Sie lesen jetzt, ich muß doch bitten! |
Gehorchen Sie der Lehrperson! | |
Ihr Steno ist hier unbestritten; | |
die Ruth, die helfe; macht doch schon! | |
(zeigt auf Kathrin) | |
Kathrin: | Und nur des Reimes wegen Ruth? |
Ich heiße Kathrin, ist das klar? | |
Mit “Ruth”, das find ich gar nicht gut; | |
verletzt und tief gekränkt ich war! |
Müller: | Zur nächsten Woche, sagen wir |
habt ihr das ganze Buch gelesen. | |
Die Seiten 1 bis 104 | |
sind keinem je Problem gewesen. | |
Die “Zu-Eignung” dann bitte doppelt, | |
darüber wer’n wir diskutiern, | |
das ist gehüpft doch wie gehoppelt, | |
danach Faust 2 wir anvisiern. | |
Schüler: | Ich schüchtern mich zu melden wage |
um eure Rede hier zu stören. | |
Gestattet sei mir eine Frage: | |
Stimmt es dass wir richtig hören? | |
Man könnt’ die Überlegung machen | |
mit dem LK uns zu vergleichen | |
— wenn Sie nicht der Erwägung lachen — | |
dem würd’ Teil 1 nämlich schon reichen. | |
Ich wählte Grundkurs, nur mal so. | |
Vergleicht man mal mit dem LK, | |
der über unserem Niveau | |
so sieht man folgendes ganz klar: | |
Die lesen Goethe Zeil’ für Zeil’ | |
und diskutieren jede Seit’. | |
Da niemand sagt: “Ich peil’ das Teil” | |
da lassen die sich eben Zeit. | |
Müller: | Was sagten Sie, ich hör nicht recht? |
Die lesen’s nicht an einem Stück? | |
Bei dem Gedanken wird mir schlecht, | |
mit mir, da ham Sie wirklich Glück! | |
Die Schul’ hier heißt Gymnasium. | |
Schon früher war uns Faustus klar; | |
wenn ihr’s nicht könnt, so seid ihr dumm! | |
Wir lesen mehr als ein LK! | |
Chorus: | Wir sind der LK! Wir sind der LK! |
Kausales “weil” mit Hauptsatz dran
Frau Müller kochend macht vor Wut.
Unmöglich man so sprechen kann,
weil das ist überhaupt nicht gut!
Und gleichfalls sie in Rage bringt
das Wörtchen “wegen", wenn es stur
mit drittem Fall zusammen klingt.
Das wegen diesem Dativ nur.
Und auch an Fehlerquellen reich,
die nie ein Schüler je erkannte,
ist der mit “wie” gebraucht’ Vergleich,
der schlimmer wie das Letztgenannte.
Bei Fremdwörtern nimm dich in Acht:
Ein Klimax niemals Neutrum ist.
Der Plural — zu oft falsch gemacht —
ist “Kli-mä-xe", wie ihr ja wisst.
Fürs Zuhör’n seid nun noch bedankt,
dass euer Ohr ihr uns geschenkt.
Euch dieser Zeilen bloß nicht zankt,
im Deutschkurs ihrer froh gedenkt!
Und die Moral von der Geschicht:
Moral für’s Erste nicht in Sicht.